Da kann die Polizei noch was lernen
Die Polizei, dein Freund und Helfer - so sollte es sein, doch vor allem in Indien ist es nicht immer so. In regelmäßigen Abständen kommen hier Skandale ans Tageslicht, sei es dass Polizeibeamte bei einem Lynchmord nur zusehen oder sie im Alltag von ihrer Gewalt und Macht Missbrauch machen. Neben solchen Entgleisungen ist Korruption ein dauerhaftes Problem - so wie überall in der indischen Gesellschaft - und seit Beginn ihrer Arbeit hatte STOP India damit zu kämpfen. Die meisten Betreiber von illegalen Bordellen stecken nämlich mit Individuen aus dem Polizeikorps unter einer Decke und entrichten regelmäßige Schmiergeldzahlungen. Im Gegenzug werden sie von den Beamten vor Razzien gewarnt und vor Strafverfolgungen in Schutz genommen.
Vor allem in den Anfängen unserer Partnerorganisation, also Ende der 90er Jahre, stellte diese dunkle Komplizenschaft ein großes Problem dar. So musste STOP die Bordelle oft selbst "sprengen", in nächtlichen Einsätzen und unter ernsthafter Gefahr für Leib und Leben. Erst wenn das Rettungsteam die verschleppten und gefangenen Mädchen erfolgreich befreit hatte, wurde die Polizei eingeschaltet - und selbst dann kamen die Bordellbetreiber oftmals ohne Strafe davon. Erst nach jahrelangen Bemühungen und viel Aufklärungsarbeit gegenüber der Staatsgewalt verbesserte sich das Klima langsam und heute kann STOP in vielen Problematiken eng mit der Polizei zusammenarbeiten.
So geschehen zuletzt Anfang August: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von STOP wurden von der Polizei Delhi eingeladen, in einem zweitätigen Workshop den richtigen Umgang mit Kindesopfern zu vermitteln. Hierzu kamen Beamtinnen und Beamte aus allen 14 Polizeibezirken Delhis zusammen. Vor allem widmete sich das Seminar den folgenden Fragen:
Wie schaffe ich für das betroffene Kind möglichst schnell eine vertrauensvolle Umgebung?
Wie kommuniziere ich mit dem Kind, sodass ich verlässliche Informationen zum Tathergang bekomme aber ein mögliches Trauma nicht verstärke?
Welche Art von Berührungen sind gut und vermitteln Vertrauen und Geborgenheit, und welche Berührungen sind zu unterlassen ("good touch - bad touch")?
Ein Zeichen des (relativ langsamen) Fortschritts der indischen Gesellschaft in der Geschlechter-Problematik ist, dass jeder Polizeibezirk mittlerweile eine "Woman-Child-Cell" hat, also eine Abteilung für Fälle in denen speziell Frauen und/oder Kinder involviert sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Abteilungen besuchen regelmäßig die Schulen in ihrem Bezirk, wo sie Kurse geben zum richtigen Umgang miteinander (wieder vor allem: good touch - bad touch) und als Ansprechpartner für mögliche Übergriffe durch Lehrkräfte oder Mitschüler zur Verfügung stehen. Beim Workshop von STOP mussten diese Frauen-Kind-Abteilungen von jedem Bezirk genauso vertreten sein wie die normalen Einsatzkräfte.
Die Problematiken Missbrauch, Vergewaltigung und Geschlechter-Gewalt sind also mittlerweile auch von staatlicher Seite zumindest erkannt und werden langsam angegangen - nicht zuletzt durch den Einsatz von Nichtregierungsorganisationen wie STOP. Viel Arbeit bleibt aber, denn das Umdenken findet noch längst nicht in allen Köpfen der indischen Zivilbevölkerung statt.